Vorlesen, Singen, gemeinsam den Tisch decken und dabei herzhaft Lachen. Diese Alltagssituation erleben Senioren, die pflegebedürftig sind und in den eigenen vier Wänden alleine leben nicht jeden Tag. Denn berufstätige Angehörige können nicht immer vor Ort sein. Auf diese gesellschaftliche Situation hat die Pflegeversicherung reagiert. Senioren, die bereits durch einen ambulanten Pflegedienst versorgt werden, erhalten seit 2017 für eine teilstationäre Versorgung in einer Senioreneinrichtung wesentlich höhere Leistungen. Je nach Ausmaß der Beeinträchtigungen steht Menschen ab einem Pflegegrad 2, der vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung ermittelt wird, ein Budget für Tages- und Nachtpflege zwischen 689 bis 1.995 Euro pro Monat zur Verfügung. Trotzdem die Tagespflege vom Gesetzgeber so gut ausgestattet wurde, ist sie öffentlich nur wenig bekannt.
Die Angehörigen der 82-jährigen Gerda Geiger haben von der Tagespflege eher durch Zufall erfahren. Die Seniorin wurde im Augsburger Seniorenzentrum Lechrain nach einem Krankenhausaufenthalt in der Kurzzeitpflege versorgt. „Ein endgültiger Einzug war keine Option für meine Schwiegermutter, Besuche der Einrichtung an einigen Wochentagen dagegen schon“, berichtet Dr. Reingard Herbst. Seither besucht Gerda Geiger zweimal pro Woche jeweils sechs Stunden die Tagespflege. „Sie lebt das Leben in einer Wohngruppe mit 16 anderen Senioren im Seniorenzentrum Lechrain mit“, sagt der 20-jährige Pflegehelfer Patrick Keller. So sei es zu einem festen Ritual geworden, das beide gemeinsam den Mittagstisch für die anderen Bewohner der Gruppe decken.
Meist fragt die Seniorin den jungen Mann schon bei der Begrüßung nach Aufgaben, die sie übernehmen kann. „In der Tagespflege und auch bei unseren festen Bewohnern gehen wir speziell auf die Persönlichkeit des Gastes ein, sagt Pflegefachkraft Viorica Graf. Während für den einen das gemeinsame Kreuzworträtsel ein Höhepunkt ist, kann für andere das Vorlesen der Zeitung oder die Gymnastik in der Tagespflege das Nonplusultra sein. „Die Aufenthalte sind inzwischen der Höhepunkt der Woche“, bestätigt Dr. Reingard Herbst. Denn sie ermöglicht ihrer Schwiegermutter ein soziales Leben außerhalb der eigenen vier Wände mit gemeinsamen Mahlzeiten, sozialen Angeboten und pflegerischer Unterstützung. Das Angebot pflegebedürftigen Menschen ein Zuhause mit Alltagsstruktur am Tag zu bieten, wird von vielen pflegenden Angehörigen immer stärker nachgefragt, wenn sie den Umfang des Leistungsangebotes kennen, bestätigt Altenhilfe Werkleiterin Susanne Greger. Im Ersatzneubau des St. Servatius-Stifts wird die Altenhilfe daher eine eigene solitäre Tagespflege mit 16 Plätzen im Sommer 2018 eröffnen. Morgens und abends werden die Tagesgäste von den hauseigenen Fahrdienstoder durch einen externen Partner befördert.